Deutscher Sonderweg
Die Theorie vom „deutschen Sonderweg“ und die Einwände dagegen
Sie besagt, dass Deutschland einen nicht normalen Weg der Modernisierung gegangen sei, wobei dieseModernisierung sich bezieht
- auf die Industrialisierung
- den damit verbundenen Wandel der Sozialstruktur (Aufstieg von Arbeiterschaft und Bürgertum, Rückgang der Bauern, von der Agrar- zur Industriegesellschaft)
- den damit verbundenen Wandel politischen Einflusses der alten führenden Kräfte (Adel, Kirche mit abnehmendem, Bürgertum und Arbeiterschaft mit steigendem politischem Einfluss)
- den damit verbundenen Wandel der politischen Institutionen hin zum liberalen Verfassungs- und Rechtsstaat
- nur Punkt 1 und 2 vollständig, die restlichen Punkte unvollständig bzw. verspätet verwirklicht worden seien.
- die preußischen Reformen von oben die Revolution von unten ersetzt hätten
- die 1848er Revolution gescheitert sei
- die Revolution von 1918 zu spät gekommen sei
- Adel und Kirche einen überproportionalen politischen Einfluss ausgeübt hätten, festgeschrieben in der Verfassung Preußens (Dreiklassenwahlrecht, Monarchie, usw.) und des Kaiserreichs (Bundesrat, Monarchie, Vorrechte Preußens) und ausgeübt in Armee, Verwaltung, Schulen als Stützen des Konservatismus
- der preußische Bürger ein typischer Untertan gewesen sei (vgl. den gleichnamigenRomantitel von Heinrich Mann), intolerant, unkritisch, militaristisch und überheblich, auch antisemitisch
Diese Theorie stößt auf gewichtige Einwände:
- Es gibt keinen normalen und unnormalen Weg der Entwicklung, wobei letzterer nicht nur nachteilig, sondern auch schlecht ist.
- Es gibt in der Geschichte generell keine zwangsläufige Entwicklung hin zu einem bestimmten Ereignis oder einem bestimmten gesellschaftlichen und politischen System wie dem Nationalsozialismus.
Die Auseinandersetzung zwischen König und Kronvasallen im Mittelalter kann mit einem Sieg der Krone und einer Zentralisierung enden wie in Frankreich oder in einer Schwächung der Krone und einer Stärkung der Vasallen und dezentralisierter staatlicher Entwicklung enden wie in Deutschland. Der Kampf zwischen städtischem Patriziat und Zünften im Spätmittelalter kann mit einer Patriziats- oder Zunftverfassung enden. Die Modernisierung wird überall von ähnlichen Akteuren und Kräften bestimmt. Welches Ergebnis aus dem Kräfteringen hervorgeht, hängt von einer Vielzahl von Faktoren ab, von den örtlichen und regionalen Gegebenheiten bis hin zu individuellen Akteuren. Es wäre deshalb besser, von einem deutschen bzw. preußischen Weg, von einem französischen und englischen Weg der Entwicklung zu sprechen, als von einem deutschen Sonderweg.